Alles steht still – Ausser der Tierwelt

Einflüsse der Corona-bedingten „Anthropause“ auf die Wildtiere

Svenja & Lene

Anthropause durch die Corona Pandemie 


Seit dem Jahr 2000 wird von Naturwissenschaftler*innen ein neues geologisches Zeitalter, das Anthropozän, diskutiert, dass das Holozän ablösen könnte. Es ist das Zeitalter, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist (Titz 2016). Der Begriff Anthropozän wurde 2000 von Paul Chrutzen und Eugene F. Stoermer in die Diskussion eingebracht, welche die Menschheit als geologischen Faktor betrachten (Waters 2014: 29). Durch die technischen Innovationen der modernen Menschen und deren langfristige Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima, sind die Veränderungswirkungen auf die Erde mit denen der letzten Eiszeit vergleichbar. Die geologisch registrierten Einflüsse des Anthropozäns auf die Erde, die am stärksten diskutiert werden, reichen von der europäischen Kolonisierung im 15./16. Jahrhundert über die Industrialisierung mit der Erfindung der Dampfmaschine bis hin zum Gebrauch fossiler Brennstoffe im 18. Jahrhundert (Springer 2016). 

Die komplexen Veränderungen, die das Anthropozän mit sich bringt, betreffen alle Dimensionen: Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft und sind von globalem Ausmass mit grosser Dynamik und Beschleunigung. Erderwärmung, Umweltbelastung, zunehmende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, Foodwaste, bewaffnete Konflikte und Flüchtlingsströme gehören zu den problematischen Entwicklungen des Anthropozäns und sind alles andere als nachhaltig für die Umwelt und Gesellschaft. 

Ein aktuelles Beispiel eines Phänomens im «Zeitalter des Menschen» ist der Ausbruch der COVID-19-Pandemie Ende 2019, die aufgrund der zunehmenden Globalisierung in kürzester Zeit und weltweit enorme Auswirkungen auf das alltägliche menschliche Leben, wie auch die Tier- und Umwelt hatte. Weltweit wurden von Regierungen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriffen. Die Massnahmen waren von Land zu Land unterschiedlich, jedoch zielten alle darauf ab, die menschliche Mobilität und den Kontakt zu anderen Menschen einzuschränken. Dadurch verringerte sich die menschliche Aktivität weltweit und bereits nach wenigen Wochen wirkte sich dies auf die Tier-und Umwelt aus. Dieser Unterbruch wird in der Wissenschaft als “Anthropause” bezeichnet (Rutz et. al 2020: 1156). 

Das COVID-19-Virus wurde laut WHO Bericht von 2021 mit grosser Wahrscheinlichkeit ursprünglich von Wildtieren auf den Menschen übertragen. Am wahrscheinlichsten wurde das Virus von einer Fledermaus auf den Menschen übertragen, denn Fledermäuse tragen einen engverwandten Virus in sich (WHO Report 2021: 82). Durch das Virus erkrankten weltweit unzählige Menschen und nicht wenige starben daran. Um die Ausbreitung einzudämmen, wurden Massnahmen zur Einschränkung der menschlichen Aktivität verhängt. Diese Massnahmen wiederum, beeinflussten nicht nur das Leben der Menschen, sondern führten auch zu starker Veränderung der Lebensumstände von Wildtieren. Die COVID-19-Pandemie konnte aufzeigen, wie sehr die Lebenswelten von Tieren und Menschen voneinander abhängen und bestimmt werden. Es wurden bereits viele Forschungsberichte über die veränderten Lebensumstände einzelner Tiere veröffentlicht. Diese Arbeit setzt sich jedoch zum Ziel, die Verwobenheit der Beziehung von Wildtieren und Menschen anhand der Anthropause umfassender aufzuzeigen und vor allem auch Schlüsse zu ziehen, wie wir besser zusammenleben können. Dafür wird die folgende Frage untersucht: Welche positiven und negativen Auswirkungen der Anthropause auf die Tiere an Land lassen sich identifizieren und was können Menschen potenziell aus der Anthropause lernen? Um die Forschungsfragen im Ansatz beantworten zu können, fokussieren wir uns auf aktuelle Studien und Forschungsarbeiten zum Thema Anthropause. Wir konzentrieren uns vor allem auf wissenschaftliche Berichte und Forschungen, die sich mit den Auswirkungen der Anthropause auf Wildtiere befassen. Des Weiteren betrachten wir Nachrichtenplattformen, sowie auch den Dokumentarfilm “The year world changed” von David Attenborough (Attenborough 2021). So haben wir wissenschaftliche, mediale und visuelle Darstellungen der Anthropause genauer im Blick. Durch das Zusammentragen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse wird versucht, die Komplexität und die Verwobenheit der beiden Lebenswelten aufzuzeigen. Zum besseren Verständnis wird die gegenseitige Beeinflussung visuell dargestellt. Da die durch das Coronavirus verursachte Anthropause ein relativ neues Phänomen ist, sind die Forschungen über ihre Auswirkungen noch in vollem Gange. Einige Folgen der Anthropause lassen sich bereits identifizieren, aber da es sich um ein andauerndes Phänomen handelt, werden kontinuierlich neue Aspekte entdeckt und Auswirkungen neu definiert.

Die COVID-19-Pandemie

Bei der COVID-19-Pandemie handelt es sich um den weltweiten Ausbruch der Infektionskrankheit COVID-19, umgangssprachlich auch Corona oder COVID genannt. Am 31. Dezember 2019 wurde in Wuhan in China der Ausbruch einer neuen Lungenentzündung bestätigt. In China entwickelte sich die Krankheit im Januar 2020 zur Epidemie und am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die bisherige Epidemie offiziell zu einer Pandemie. Das Coronavirus verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf der ganzen Erde. Im Verlauf der Pandemie gab es in zahlreichen Ländern der Welt massive Einschnitte in das Alltagsleben. Zahlreiche Länder beschlossen mehr oder weniger einschneidende Quarantänemassnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Reisebeschränkungen. Die Menschen blieben zuhause und der internationale Reiseverkehr wurde weitgehend eingestellt. Nationalparks und andere geschützte Gebiete wurden entweder geschlossen oder nur noch eingeschränkt besucht. Universitäten und Schulen wurden geschlossen oder auf Online-Unterricht umgestellt und die Feldarbeit wurde ausgesetzt oder unterbrochen. Unternehmen schlossen und die Wirtschaftstätigkeit wurde eingeschränkt oder stark verändert (Primack et al. 2021: 1). Die nationalen Massnahmen waren und sind bis heute noch sehr unterschiedlich und abhängig von den politischen Prioritäten der Regierungen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen. Bei der COVID-19-Pandemie handelt sich um die bisher verheerendste Pandemie des 21. Jahrhunderts. Sie ist ein Beispiel für die rasche Ausbreitung einer Krankheit in einer globalisierten und vernetzten Welt. 

Was ist eine Anthropause?

Das Wort “Pause” bedeutet ein Intervall in einem Handlungsablauf; es bezeichnet einen Raum der Stille oder Untätigkeit; Momente der Ungewissheit, des Nachdenkens; eine Pause – eine Denkpause. Durch die im Frühling 2020 ergriffenen Massnahmen waren Milliarden von Menschen weltweit gezwungen, ihr gewohntes Leben zu unterbrechen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen (Searle et al. 2021: 69). Um die exponentiell ansteigenden Ansteckungen zu minimieren, wurde die Mobilität der Menschen stark eingeschränkt. Diese Zeit der ungewöhnlich eingeschränkten menschlichen Mobilität wurde umgangssprachlich vermehrt als “Grosse Pause” bezeichnet. Um den Begriff zu präzisieren, wird der Zeitraum im wissenschaftlichen Diskurs als “Anthropause” (Rutz et. al 2020: 1156) also “menschliche Pause» bezeichnet, was unterstreichen soll, dass zu dieser Zeit die menschliche Aktivität und Mobilität beträchtlich verlangsamt und eingeschränkt war. Laut Searle et al. 2021 beinhaltet das Bewohnen einer Pause das Gefühl, mitten im Geschehen, an einem Wendepunkt, in einem Moment der Unsicherheit zu sein. Eine Pause bietet aber auch die Chance zur Reflexion. Die Pause schwebt also in einem Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft (Searle et al. 2021: 70).

Die COVID-19-Pandemie ist nicht die erste Anthropause. Vorläufer lassen sich unter anderem in Form von historischen Pandemien, vom Menschen verursachte Katastrophen, staatlich/militärischen Interventionen und globalen Wirtschaftskrisen identifizieren. Frühere Epidemien wie beispielsweise der Schwarze Tod führten zu einem Massensterben von Menschen und zur Einrichtung von Quarantänen auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Ebenen. Auch Katastrophen wie der Hurrikan Katrina oder die Nuklearkatastrophe Tschernobyl können zu den Verursachern einer Athropause gezählt werden. Dennoch ist das Ausmass der durch die COVID-19-Pandemie verursachten Anthropause beispiellos (Searle et al. 2021: 71). 

Der Einfluss der Anthropause auf Wildtiere

Die durch die Pandemie verhängten Einschränkungen des menschlichen Lebens und der Mobilität haben die alltäglichen Interaktionen von Menschen mit der Natur- und der Tierwelt erheblich verändert (Searle et al. 2021: 70). In den sozialen Medien haben sich die Beiträge über überraschende Begegnungen mit Wildtieren während des Lockdowns gehäuft. Es scheint, als ob sich die Natur während des Lockdowns verändert habe, insbesondere in städtischen Gebieten. Es scheint nicht nur plötzlich mehr Tiere als sonst zu geben, sondern auch einige unerwartete Besucher. Menschen berichten, dass sie Pumas in der Innenstadt von Santiago (Chile), Delfine in untypisch ruhigen Gewässern im Hafen von Triest (Italien) und Schakale am helllichten Tag in städtischen Parks in Tel Aviv (Israel) gesichtet hätten (Primack et al. 2021: 2). Es wird klar, dass Menschen und Wildtiere stärker voneinander abhängig sind und dass verschiedene Tiere von den unterbrochenen Aktivitäten sowohl davon profitieren als auch durch sie bedroht sind (Rutz et al. 2020: 1156).

Positive Einflüsse auf Tiere durch die Anthropause

Wie bereits erwähnt führten der Lockdown und die verschiedenen Massnahmen zu einem plötzlichen und starken Rückgang der menschlichen Aktivität, was sich auf die Umwelt und die darin lebenden Wildtiere auswirkte. Ein positiver Effekt war, dass Wildtiere vermehrt an ungewöhnlichen Orten auftauchten, die normalerweise von Menschen besucht werden. Während des Lockdowns wurden in urbanen Gebieten und an touristisch überfüllten Stränden vermehrt Wildtiere wie Schildkröten gesichtet (Manenti et al. 2020: 3). Diese Beobachtungen zeigen, dass die Verringerung menschlicher Aktivitäten dazu führen kann, dass Wildtiere sich an Orten aufhalten, die sie normalerweise meiden. Zum Beispiel kehrten weibliche Meeresschildkröten während des Lockdowns an die nun menschenleeren Strände Floridas zurück, um Eier zu legen. Weibliche Meeresschildkröten kehren alle zwei bis drei Jahre an die Strände zurück, an denen sie geschlüpft sind. Durch die ansteigende Präsenz der Menschen an Stränden, scheuen die Meeresschildkröten ihre Brutplätze, was ihre Nist-Erfolgsrate extrem einschränkt. Als die Strände gesperrt waren stieg die Nist-Erfolgsrate von 40% auf 61% (Attenborough 2021 & Stokstad 2020). Ähnliches beobachteten Soto et al. an 29 Strände in Lateinamerika während und nach dem Lockdown (Soto et al. 2021). Sie stellten fest, dass sich die Strandvegetation in der Abwesenheit der Menschen zu erholen begann und dass die Zahl der einheimischen Tiere, wie zum Beispiel der Geisterkrabben, zunahm. Zudem gab es deutlich weniger Abfall und Lärm (Primack et al. 2021: 2). 

            Eine weitere positive Auswirkung der Corona Pandemie war der verringerte Strassenverkehr während des Lockdowns. Er beeinflusst die Wildtierpopulationen, die sonst stark von Tötungen durch Autos beim Überqueren der Strasse betroffen sind. Dies kann am Beispiel der Erdkröten in Italien gezeigt werden. Die Erdkröten nehmen im Frühling grosse Wege auf sich, um ihre Brutstätten zu erreichen. Diese Wege kreuzen sich oft mit stark befahrenen Strassen. Diese Überquerungen sind für eine hohe Sterblichkeitsrate der Tiere verantwortlich. An acht Standorten wurde die Sterblichkeitsrate im Jahr 2020 mit dem Jahr 2019 verglichen. An all diesen Standorten hat das Verkehrsaufkommen während des Lockdowns in der Nacht um 80-100% abgenommen. Der Rückgang der auf der Straße getöteten Erdkröten an allen untersuchten Standorten war signifikant. Das reduzierte Verkehrsaufkommen und die dadurch verursachte geringe Sterblichkeit während des Lockdowns deuten darauf hin, dass die Zahl der Brüter, welche die Brutplätze im Jahr 2020 erreichen konnten, höher war als in den vorherigen Jahren. Dies wirkt sich positiv auf die Population der Erdkröten aus (Manenti et al. 2020: 4). In einer vergleichbaren Studie aus Tasmanien berichtet Driessen, dass die Zahl der Strassentötungen während der Pandemie um 46 % zurückging (Driessen 2021). Bíl et al. untersuchten auch die Mortalität von Wildtieren entlang von Straßen in 11 europäischen Ländern. In vier Ländern, nämlich Spanien, Israel, Estland und Tschechien, führte ein Rückgang des Straßenverkehrs während der Pandemie zu einem Rückgang der Wildtiersterblichkeit um 40 % (Bìl et al. 2021). Im Gegensatz dazu gab es in Schweden keinen grösseren Lockdown und dementsprechend auch keinen Rückgang der Sterblichkeitsrate von Wildtieren (Primack et al. 2021: 3).

 

Negative Einflüsse auf Tiere durch die Anthropause

Das Wegbleiben der Menschen hat jedoch nicht nur positive Auswirkungen auf die Tierwelt. Im Zuge der weltweiten Quarantänemassnahmen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wurden zahlreiche Tiere, die auf die Versorgung durch den Menschen angewiesen sind, in direkter und indirekter Weise beeinflusst. Einige Tiere wurden einerseits aufgrund der Einschränkungen in der Versorgungslage und des Personenmangels in Forschungseinrichtungen, wie zum Beispiel in Labors, notgedrungen getötet (Grimm 2020). Andererseits wurden für die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen in klinischen Versuchen in vielen Ländern schnell grosse Mengen an Tieren gezüchtet (Gorman 2020). Infolge des indirekten Marktdrucks und des Zusammenbruchs der Versorgungsketten wurden in den USA viele landwirtschaftliche Tiere geschlachtet (Kevany 2020a). Auch in Spanien und den Niederlanden wurden aufgrund von COVID-19-Infektionen in Pelzfarmen eine Million Nerze getötet (Kevany 2020b). Die Abwesenheit von Besucher*innen und Freiwilligen beeinflusste zudem das Leben der Tiere in Gefangenschaft direkt und führte zu Verhaltensänderungen bei einzelnen Tieren (Turnbull et al. 2020). Parsons et al. zeigen in ihrer Studie auf, dass Tiere, die auf menschliche Abfälle als Nahrung angewiesen sind, wie zum Beispiel Stadtratten, Tauben und Füchse, ihren Rhythmus und ihre topografischen Muster ändern mussten. Weltweit wurden Ratten in Städten tagsüber sichtbarer und dehnten ihren geografischen Aktionsradius auf der Suche nach Nahrung aus, als Restaurants coronabedingt schlossen und keine Abfälle mehr auf den Strassen zurückliessen (Parsons et al. 2020). Die Pandemie führte des Weiteren zu einem Rückgang des Interesses an Nationalparks und Ökotourismus. Eine Studie von Souza et al. ergab, dass während der Quarantänemassnahmen das Interesse an Informationen über Nationalparks stark zurückging, insbesondere bei Parks, die von ausländischen Reisenden und dem Tourismus abhängig sind (Souza et al. 2021). Dies hatte auch direkte Auswirkungen auf die Einnahmen aus dem internationalen Ökotourismus in Südafrika, die während des Lockdowns um 90% zurückgingen (Smith et al. 2021).

 

Was lernen wir von der Anthropause

Die Reduktion menschlicher Aktivitäten, hat wertvolle Erkenntnisse für die Wissenschaft und den Naturschutz gebracht. Wissenschaftler*innen sehen die Anthropause als einmalige Chance, um wichtige Erkenntnisse, Beobachtungen und Datenerhebungen der Interkation zwischen Menschen und Wildtieren zu gewinnen. Wie aufgezeigt wurde, führen der Rückgang verschiedener Formen der Umweltverschmutzung, die Verringerung von Lärm und Verkehr sowie das allgemeine Wegbleiben der Menschen zur Möglichkeit, das Verhalten und die Ökologie von Tieren genauer zu erforschen (Rutz et al. 2020: 1157).

            Die mögliche Übertragung des COVID-19-Virus von Wildtieren auf den Menschen hat zu Empfehlungen für Managementpraktiken geführt, die sich zum Ziel setzen, zukünftige Pandemien zu verhindern. Dobson et al. sehen eine wirksame Strategie, weitere Pandemien zu verhindern, darin, den Handel mit Wildtieren zu reduzieren und den Umgang sowie den Verzehr von Wildtieren zu sensibilisieren.

Der Tourismus kann je nach Situation entweder zur Wiederherstellung von Ökosystemen beitragen oder diese behindern. Primack et al. betonen, dass neue Ansätze entwickelt werden müssen, die es dem Tourismus ermöglichen, positive Auswirkungen auf die Natur zu haben, und gleichzeitig Aktivitäten mit schädlichen Auswirkungen zu vermeiden (Primack et al. 2021: 2). 

Die Anthropause wird ausserdem als weitere Chance betrachtet, eine Naturschutzpolitik zu fördern, die sich auf die Koexistenz von Tier und Mensch konzentriert und die Menschheit dazu auffordert, ihren zukünftigen Umgang mit dieser Koexistenz zu überdenken. Es ist von entscheidender Bedeutung, die Zusammenhänge zwischen dem Verhalten von Menschen und Tieren zu verstehen, um die weltweite biologische Vielfalt zu erhalten, die Integrität von Ökosystemen zu bewahren und globale Umweltveränderungen hervorzusagen. Die Erforschung der Auswirkungen der Anthropause kann dazu beitragen, Arten zu identifizieren, die durch menschliche Aktivitäten ernsthaft beeinträchtigt werden, aber immer noch in der Lage sind, auf Veränderungen zu reagieren. Dieses Wissen ist von entscheidender Bedeutung, um eine nachhaltige Zukunft, die das Leben der Menschen und Tiere sichert, zu gestalten. (Searle et al. 2021: 70).

Möglicherweise werden wir feststellen, dass relativ geringfügige Änderungen unseres Lebensstils grosse Vorteile für Ökosysteme und Menschen haben können. So können schon kleine Änderungen an der Topologie und dem Betrieb unserer Verkehrsnetze unbeabsichtigte störende Auswirkungen auf Tierbewegungen drastisch reduzieren (Rutz et al. 2020: 1156-1158). Wie David Attenborough in seinem Dokumentarfilm erwähnt, zeigt, wie schnell und vielfältig die Natur auf die Anthropause reagiert hat, dass schon kleine Veränderungen im menschlichen Leben entscheidende Auswirkungen auf die gesamte Tierwelt haben können. Es könnten beispielsweise jeden Sommer kleine Shutdowns geben, bei denen Strände und Parks nachts geschlossen werden. Empfehlungen für Parkbehörden ein verantwortungsvolles Verhalten der Tourist*innen und Reiseführer*innen zu fördern, würde das Überleben dieser Tiere sichern (Attenborough 2021).

Ergebnisse

Diese Arbeit versucht die Frage zu beantworten, welche positiven und negativen Auswirkungen die Anthropause auf die Tiere an Land mit sich brachte. Die hier aufgezeigten Tiere sind natürlich keineswegs die einzigen, welche von den Auswirkungen der Anthopause betroffen waren. Sie wurden hier lediglich exemplarisch für viele andere Arten aufgeführt, um mögliche Auswirkungen sichtbar zu machen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die eingeschränkte menschliche Aktivität insbesondere Wildtiere hauptsächlich positiv beeinflusst hat. Der verringerte Verkehr führte dazu, dass weniger Wildtiere überfahren wurden. Die Abnahme des Tourismus hatte zur Folge, dass Tiere die Strände für sich hatten und nicht mehr durch die Menschen gestört wurden. Negativ beeinflusst wurde die Ernährung der Tiere, die in den Städten leben, wie beispielsweise die der Ratten. Sie konnten nicht mehr so leicht auf ihre natürlichen Nahrungsmittel zurückgreifen. Ihr Leben ist von menschlichen Abfällen als Nahrungsquelle abhängig geworden. Zudem wurden vor allem Nutztiere negativ von der Anthropause beeinflusst. Durch den steigenden Marktdruck und dem Zusammenbruch der Versorgungsketten während der Pandemie wurden viele Tiere geschlachtet. Nichtsdestotrotz zeigen die genannten positiven und negativen Aspekte der COVID-19-Pandemie auf die Wildtiere, wie komplex die Tier-Mensch Beziehungen miteinander verwoben sind. Einige genannten Auswirkungen sind gleichzeitig positiv wie auch negativ für manche Tiere und hängen von den jeweiligen Kontexten ab.

In Anbetracht der Anthropause stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse die Menschheit aus dieser Zeit gewinnen kann. Searle et al. vertreten die Auffassung, dass die Verhältnisse nach der Anthropause schliesslich wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren werden (Searle et al. 2021). Der aktuell der schlimmste Teil der Corona-Pandemie ist vorbei und die Menschen in der Schweiz können wieder ihr alltägliches Leben ohne Einschränkungen führen. Die Auswirkungen der Corona Pandemie sind in verschiedenen Bereichen noch zu spüren, doch viele werden erst in einigen Jahren überhaupt erst sichtbar sein, wenn die Forschung weitere Ergebnisse erzielen wird. Auch wir gehen davon aus, dass viele Menschen nach solchen massiven Einschränkungen in den Zustand vor der Pandemie zurückgehen wollen, werden und es bereits schon sind.

Die derzeitige Anthropause stellt eine Herausforderung dar, aber auch eine Möglichkeit, innovative Wege zu finden, um den zunehmend expansiven Lebensstil einzuschränken und wiederzuentdecken, wie wichtig eine gesunde Umwelt für unseres eigenes Wohlbefinden ist. Die Erfahrungen während der COVID-19-Pandemie haben die Komplexität der Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Umwelt verdeutlicht und neue Formen der artenübergreifenden Beziehungen geschaffen, um die Menschen mit der sie umgebenden Tierwelt in Kontakt zu bringen.

Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Antrhopause durch die Ausbreitung eines nicht-menschlichen Akteurs verursacht wurde, dessen Ausbreitung trotz globaler Bemühungen nicht gestoppt werden konnte. Weitere Pandemien werden kommen und daher sind systematische Anstrengungen erforderlich, um sowohl die Intensivierung der Beziehungen zwischen Menschen, Natur und Tieren als auch die Beschleunigung der globalen Mobilitäten neu zu hinterfragen und zu kalibrieren.

Dieses ungewöhnliche Jahr, das unsere Erde veränderte, zeigt nicht nur, dass wir der Tier- und Pflanzenwelt helfen können, stärker zu werden, sondern auch, wie wir dadurch den Zustand unseres Planeten für alle Lebewesen verbessern können. Lassen wir die Tier- und Naturwelt in Ruhe, erholt sie sich und breitet sich aus. Wir leben nicht getrennt von der Natur, sondern stellen fest, dass wir auf überraschende Weise tief mit ihr verflochten sind. Rutz et al. machen darauf aufmerksam, dass die Anthropause zweifellos eine wertvolle Forschungsmöglichkeit darstellt, aber trotzdem eine ist, die nur durch tragische Umstände zustande gekommen ist. Die sorgfältige Forschung in dieser Zeit der Krise kann und sollte dazu beitragen, innovative Wege zu finden, um den menschlichen zunehmend expansiven Lebensstil zu zügeln, wiederzuentdecken, wie wichtig eine gesunde Umwelt für unser eigenes Wohlbefinden ist, und das Gefühl des Besitzens durch ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ersetzen.

Quellen:

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Bil, M. et al. 2021: COVID-19 related travel restrictions prevented numerous wildlife deaths on roads. A comparative analysis of results from 11 countries. Biological Conservation 256.

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Kevany, Sophie 2020b: A million mink culled in Netherlands and Spain amid Covid-19 fur farming havoc. The Guardian. <https://www.theguardian.com/world/2020/jul/17/spain-to-cull-nearly-100000-mink-in-coronavirus-outbreak>. 31. Januar 2023.

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Stokstad, Erik 2020: The pandemic stilled human activity. What did this “anthropaise” mean for wildlife? Science. <https://www.science.org/content/article/pandemic-stilled-human-activity-what-did-anthropause-mean-wildlife>. 31. Januar 2023.

Titz, Sven 2016: Ein gut gemeinter Mahnruf. Neue Zürcher Zeitung. <https://www.nzz.ch/wissenschaft/klima/ausrufung-des-anthropozaens-ein-gut-gemeinter-mahnruf-ld.126251?reduced=true>. 31. Januar 2023. 

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Waters, Colin N. 2014: A stratigraphical basis for the Anthropocene? The Geological Society 395. S.29.

Alle Abbildungen sind von Lene Bachmann und Svenja Reinhardt gestaltet und urheberrechtlich geschützt.

Studierende der Universität Bern in Sozialanthropologie
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