Historischer Überblick

Bereits vor dem 15. Jahrhundert gab es im schweizerischen Seeland grosse Fluten, welche viele Menschen betrafen. Die Aare trat oft zwischen Aarberg und Büren über die Ufer, da sich die Sedimente der anderen Flüsse am Flussboden ansammelten. Das Wasser aus der Zihl (bei Biel) konnte aufgrund der Sedimente nicht weiterfliessen und floss bei starken Regenfällen sogar zurück in den Bielersee. Die flache Landschaft bestand aus Mooren und Auen, da das Wasser in den Boden sickerte. Dies machte die tiefgelegenen Gebiete für Menschen unbewohnbar und war für landwirtschaftliche Zwecke suboptimal. Aufgrund der vielen Hochwasser und seinen Folgen, wurden seit dem 17. Jahrhundert einige Korrekturvorschläge gemacht. Dies verzögerte sich aber wegen mangelnder Organisation und historischen Ereignisse (wie der französischen Besatzung oder dem Sonderbundskrieg) über 200 Jahre. Nach einer Überschwemmung im Jahr 1852 zeigte sich erneut wie notwendig eine Korrektion wäre: «Die ganze Gegend von Aarberg bis Bühl und Worden, sowie eine Theil des Amtes Nidau, ist noch tiefer unter Wasser gesetzt als letztes Jahr und die Zerstörungen an Bodenfrüchten stellen Roth und Elend in gewisse Aussicht.» (Roth 1852: 1059)

Im Jahr 1831 bildete ein Arzt und Politiker namens Johann Rudolf Schneider den «Schutzverein», welcher sich mit Lösungen zum Hochwasserschutz im Seeland auseinandersetzte. Mithilfe des berühmten Ingenieurs Richard La Nicca kamen sie auf die Projektidee der ersten Juragewässerkorrektion. Diese beinhaltete:
- Den Bau des neuen Hagneck-Kanals (3), welcher die Aare in den Bielersee ableitet.
- Den Bau des neuen Nidau-Büren-Kanals (4), welcher Wasser vom Bielersee mit der Zihl vereinigt.
- Die Begradigung und Verbreiterung der Broye (2) und Zihl (1)
- Entsumpfung der Feuchtgebiete mittels kleiner Kanäle (Zwischen 1 und 3)
Da sich die Kantone Bern, Waadt, Freiburg, Neuenburg und Solothurn daran beteiligten, war es äusserst schwierig einen Kompromiss zu finden. Erst mit dem neuen modernen Bundesstaat wurde dies möglich, da die Juragewässerkorrektion schliesslich im nationalen Interesse lag. Dabei war Johann Rudolf Schneider als Nationalrat tätig und lobbyierte für die Korrektion. Nach den Vorbereitungen begann der Bau des Projektes im Jahr 1968 und dauerte 23 Jahre.s

Bereits 1910 ereignete sich trotz der Juragwässerkorrektion ein Rekordhochwasser. Daraus folgte der Bau einer Schützenwehr beim Nidau-Büren-Kanal in Port. Leider reichte dies nicht und es kam im Jahr 1944 erneut zu einem Hochwasser. Danach wurde der Zihl- und Broye, und Nidau-Büren-Kanal wiederholt vertieft und ausgebaut. Dasselbe geschah bei der Aare zwischen Büren und Solothurn. Aus der Schützenwehr wurde ein Regulierwehr gemacht, wobei die zuständige Behörde, die genaue Menge an Wasser, die aus dem Bielersee fliesst, bestimmen kann. Die Bauten endeten schliesslich im Jahr 1973.

Landwirtschaftliche Folgen
Nach der ersten Juragewässerkorrektion sank der Seespiegel um etwa 2.5 Meter, wodurch neue Ufer entstanden. Zudem entsumpften 400km² des vorher wasserreichen Bodens. Mithilfe von jahrelangen systematischen Bodenverbesserungsmassnahmen wurde der Boden zu Ackerflächen umfunktioniert. Dieses gewonnene Land wurde ebenfalls für neue Wohnmöglichkeiten genutzt. Um den Raum mit den umgebenden Gebieten zu verbinden, wurden neue Strassen, Brücken und Eisenbahnstrecken gebaut. Die Zusammensetzung des Bodens veränderte sich ebenfalls stark. Torfboden ist normalerweise wasserreich und erodiert schnell, wenn Sauerstoff damit in Verbindung kommt. Deswegen begann mit der Einführung der Landwirtschaft der feste Boden zu sinken. Nach einiger Zeit war der Boden zum Teil tiefer gelegen als die Flüsse, was wiederrum zu mehr Überschwemmungen und schliesslich zu der zweiten Juragewässerkorrektion führte.
Um die Wasserspiegel zu senken, wurden die Kanäle vertieft und verbreitert. Zudem konnte mithilfe des Regulierwehrs der genaue Wasserspiegel bestimmt werden. Bei hohen Wassermengen der Aare und Emme lässt das Regulierwehr Port weniger Wasser durch, um die Wassermenge bei der Mündung der beiden Flüsse zu minimieren. Daher lagert sich bei Hochwasser das Wasser in den drei Seen und betrifft eher ufernahe Gebiete wie Häuser, Parks, oder Campingplätze als landwirtschaftliche Flächen. Dank den Bodenverbesserungsmassnahmen und der zweiten Juragewässerkorrektion wurde die Landwirtschaft stark intensiviert und heute werden mehr als 60 verschiedene Gemüsearten angebaut (Jäger 2016). Die für die Landwirtschaft notwendigen Böden und der Anteil an organischer Substanz sinkt jedoch immer noch. Natürlicher organischer Boden macht heute noch etwa 15% der Äcker des Seelands aus, während sich der restliche Boden in Luft aufgelöst hat (Butorin 2015: 2).
Die Überschwemmungen des 19. und 20. Jahrhunderts passierten oft aufgrund der hohen Wassermenge in den Flüssen. Mit dem Klimawandel kommt es jedoch zu extremeren Wetterereignissen wie starken Niederschlägen und Trockenperioden. Bei Trockenperioden erodiert die Torfschicht, während bei andauerndem Regen die grosse Masse an Wasser nicht vom Boden aufgenommen werden kann. Als Gegenmassnahme zur Senkung werden heute tonnenweise überschüssige andere Bodenarten von Baustellen mit dem Torfboden vermischt. Der Verein Pro Agricultura will deswegen in Zukunft eine dritte Juragewässerkorrektion lancieren.

Folgen für die Natur
Wie man auf der ersten Dufourkarte von 1845 sehen kann, bestand die Aare von Aarberg bis nach Büren aus vielen Flussarmen und war an manchen Stellen mehr als doppelt so breit wie die heutigen Kanäle. Dies waren ausgiebige Auenlandschaften mit einer hohen Biodiversität. Ähnlich erstreckte sich im Grossen Moos eine Moorlandschaft, in der verschiedenste Tiere und Pflanzen lebten. Darüber schrieb 1720 der Chronist Abraham Schellhammer:
«Auf diesem Mos, sonderlich den Wassergräben nach, ist im Sommer von den vil 1000 Millionen Fröschen ein ascheülichs Geschrey, alwo die Storchen bey offener Tafelen sich aufs beste settigen» (Grossenbacher, 1977).
Dieses Geschrei wird heute durch Strassen- und Maschinenlärm ersetzt. Die Entsumpfung und die landwirtschaftliche Intensivierung führten zu einem massiven Verlust an Biodiversität, wie das folgende Video zeigt: (Achten Sie dabei auf die alte Aare)
Bei der ersten Juragewässerkorrektion im 19. Jahrhundert war in den offiziellen Dokumenten von Naturschutzes gar nicht die Rede. Da die betroffenen Menschen sich primär vor der Natur schützen wollten, war für den Gründer der Juragewässerkorrektion der Schutz und Erhalt der Natur kein Thema:
«Jetzt blickt mancher Hausvater mit Thränen im Auge auf den überschwemmten Acker, der seine armen Kinder nähren soll, und dumpfer Nebel schwebt über dem unwirthbaren Moorgrund. Aber wenn einst an derselben Stelle der jauchzende Schnitter Garben bindet, wenn aus neuen Ansiedlungen stets wachsender Wohlstand und blühende Gesundheit den Reisenden anlächelt und bewimpelte Schiffe, von Dampf getrieben, pfeilschnell den Strom befahren: dann werden unsere Nachkommen die Landesväter segnen […]» (Schneider und La Ricca 1881: 124).
Obwohl sich der Wohlstand und die Gesundheit der Bevölkerung im Verlauf der letzten 150 Jahre massiv verbesserten, verursacht die Juragewässerkorrektion heute andere Probleme, als sie ursprünglich zu lösen versuchte. Aufgrund des Nachhaltigkeitsdiskurses und der Einführung naturschutzrechtlicher Gesetze zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wurden mehrere Regionen des Seelandes unter Naturschutz gestellt. Vor allem die Moorlandschaften sind im Seeland von nationaler Bedeutung, welche entlang des Neuenburgersees ein Viertel aller schweizerischen Tier- und Pflanzenarten beherbergen. Verschiedenste Vogelarten, Biber, Kröten, Ringelnatter, Eidechsen und Insekten finden sich auch dank Renaturierungsprojekten in diesen Naturschutzgebieten. Dennoch ist eine Förderung der Artenvielfalt nur begrenzt möglich, da die Zonen sehr klein sind und wenig Migration ermöglicht werden kann. Die Naturschutzgebiete sind umrandet von Landwirtschaft und Bauten, welche die Mobilisierung der Säugetiere und Amphibien einschränkt (Grosjean 2004: 7). Diese Verschachtelung der Natur zeigt sich in den Mechanismen, welche gewisse Wasserkraftwerke benutzen, um den Wasserstand der Auenlandschaften zu regulieren. Auenlandschaften verändern sich oft und kurzfristig, da sie stark vom Fliessgewässer beeinflusst werden. Somit bereiten sich die Tiere für Veränderungen des Wasserpegels vor und sind trotz heterogener Klimaverhältnisse sehr anpassungsfähig. Beim Wasserkraftwerk des Hagneck-Kanals bei Aarberg und beim Bielersee fliesst das Wasser in die jeweiligen Auenlandschaften. Daher können menschengesteuerte Kraftwerke die Wasserpegel der Auenlandschaften bestimmen. Da der Mensch die Landschaft zu seinen Gunsten zu regulieren versuchte, musste nun die davon abhängig gemachte Natur reguliert werden.
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Kartendaten: © 2023 Google
Heute sind die Juragewässerkorrektionen ein umstrittenes Thema. Das rasche Verschwinden des natürlichen Lebensraums und die systematische Intensivierung der Landwirtschaft verwandelte das Seeland in eine ganz andere Landschaft. Früher war die Region ein grosser Sumpf und die Aare ein ungestörter Naturfluss. Heute sieht die Lanschaft aus wie ein Raster, während die Flüsse künstlich erscheinen. Die Überschwemmungsgefahr wurde verringert und ermöglichte Landwirtschaft, Bauten und Wasserkraftwerke. Die Natur wurde hingegen durch das Eingreifen des Menschen an den Rand getrieben. Zudem sind die Sorgen der Landwirt:innen bis heute nicht ganz gelöst. Dennoch werden die Gründer:innen und Ingenieure:innen für ihre Ideen und deren Umsetzung gepriesen. Die Juragewässerkorrektion zeigt auf, dass grosse Infrastrukturprojekte trotz ihrer positiven Problemlösungen auch neue Probleme verursachen können.
Bibliographie
Butorin, Andrea 2015: „Mann kann das Seeland nur in Zentimetern retten“. Bieler Tagblatt (23. September): 2.
Jäger, Hansjürg 2016: Unterwergs im grössten Gemüsegarten der Schweiz. Bauernzeitung
https://www.bauernzeitung.ch/artikel/landwirtschaft/unterwegs-im-groessten-gemuesegarten-der-schweiz-372209
Grosjean, Martin 2004: Die Juragewässerkorrektion. Ein wasserbaulicher Grossversuch und seine Folgen. Verein Bielerseeschutz VBS 13: 1-7.
Grossenbacher, Kurt (Hg.) 1977: Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern. Bern: Dr. A. Bretscher.
Roth, Karl Tscharner 1852: Bericht über die Wasserverheerungen. Der Bund 3 (22. September): 1059.
Schneider, Johann Rudolf und Richard La Nicca 1881: Das Seeland der Westschweiz und die Korrektionen seiner Gewässer. Bern: E. W. Krebs.