Wie lärmt Bern?

Wenn es um Lärm geht, sind wir nicht hellhörig…

Kopfhörer auf, „noise-cancelling“ an und weg ist der störende Klang. Wenn es dem Menschen zu laut ist, weiss er sich zu helfen. Doch die Belastung auf den Ohren wird durch In-Ear-Kophörer nicht aufgehoben, sondern bloss durch laute Musik ersetzt. Auch wenn diese Strategie zusätzlich als Abschirmung und Isolierung von der Aussenwelt, beispielsweise um unangenehme Gespräche zu vermeiden, Anklang findet, birgt sie eine Gefahr. Das Offensichtlichste ist, dass man durch die auditive Isolierung Warnsignale und ähnliche Geräusche nicht hört und damit ungeachtet auf Gefahren stösst. In diesem Artikel möchte ich aber einen anderen Aspekt der genannten Strategie aufgreifen: Mit dem Erschaffen eigener Soundumgebungen – sei das mit Musik klingend aus Kopfhörern, Lautsprechern und dem Bauen von infrastrukturelle Lärmschutzanlagen oder immer besser isolierten Gebäuden – konzeptualisieren wir zudem eine Utopie. Wir hören gezielt weg. Wir überhören „schädlichen“ Lärm. Es ist Zeit, hinzuhören und zu erleben, wie unsere Umwelt klingt. Ich möchte mit gezielten Soundscape-Aufnahmen, Fotos und Wahrnehmungs-Dokumentationen herausfinden, wie sich einzelne Berner Soundscapes zusammensetzen. Mit dem Beschreiben, Einstufen und Vernetzen der Faktoren mit Einfluss auf Soundlandschaften eröffnet sich eine Diskussion hinsichtlich des More-Than-Human-Anthropozäns. Mit dieser soll der bis anhin gebrauchte Sammelbegriff für den unsichtbaren, nicht fassbaren „Lärm“, aus seinen zugrunde liegenden verschiedenen miteinander in Verbindung stehenden Komponenten, neu gedacht, sichtbar und hörbar werden. Auswirkungen von Lärm, unsere Reaktion darauf und der Umgang damit sind wichtige Anhaltspunkte dieser Diskussion.

Ruhe vor dem Sturm?

Hintergrund

In meinem ersten Semester des musikwissenschaftlichen Studiums besuchte ich ein Seminar mit dem Thema „musikalische Kartographie“, womit meine Faszination für Alltagsounds und urbane als auch ländliche Soundscapes aufblühte. Das Projekt „London Sound Survey“(London Sound Survey, Homepage) spielte dabei eine wichtige Rolle. Das Projekt beinhaltet unzählige Soundscapeaufnahmen welche in eine Londonder Landkarte integriert und zusätzlich mit den Soundcharaktern mit entsprechenden Symbolen ergänzt wurden. Die Forscher*innen zeigen, inwiefern sich die Londoner Soundumgebung zeitlich verändert hat und fragen sich, wie London klingt. Als jemand, der auf dem Land aufgewachsen ist, fragte ich mich während des Kurses „Das Anthropozän – laut Feral Atlas“ wie Bern klingt und inwiefern Berner Lärm kritisch betrachtet werden sollte. Das vermeintlich Offensichtliche, dass Bern im Vergleich zu Metropolen leise ist, spornt mich zusätzlich an, da die Frage nach der Schädlichkeit von Sound mit dieser kleinen Forschung neu ausgehandelt und hinterfragt werden kann. Neben den Sorgen des Bundesamts für Umwelt, kurz BAFU, um hohe externe Kosten und (menschlich) sozialen Folgen des Lärms (BAFU 2022), möchte ich anhand spezifischen Beispielen mögliche Auswirkungen in anderen Bereichen, wie dem „More than Human“ hervorheben.

Methode

Nach dem Eingrenzen des Themas setzte ich mich mit der Auswahl der Aufnahmeorte auseinander. Die Orte sollten einerseits divers sein, aber trotzdem in einem kleinen Umkreis innerhalb der Stadt Bern zu finden sein. Ich wollte Orte mit verschiedenen sozialen Funktionen aufnehmen. Vor dem Aufnahmeprozess sollten weitere Aspekte, die die Klangumgebung prägen beachtet werden. In welcher Jahreszeit, an welchem Tag, um welche Uhrzeit und wo genau soll man das Mikrofon aufstellen? Denn verändert man einen Punkt davon, kann die Soundscape total anders klingen. In der Jahreszeit war ich ziemlich eingeschränkt, doch die anderen Punkte wählte ich mit Bedacht aus: Mein Ziel war es, dass die Soundscapes belebt sind. Ich ging an einem Dienstag am frühen bis späten Mittag auf Tour, denn an Werktagen wird gearbeitet und am Mittag geniessen viele auch Zeit im Freien: Es lebt überall! Wo das Mikrofon aufgestellt wurde, entschied ich anhand der Funktion des Ortes: Am Bahnhof setzte ich mich auf eine Bank bei der Kante C – weil ich tendenziell auf den öffentlichen Verkehr warte. Beim Rosengarten ging ich auf die Wiese, weil ich in grünen Parks möglichst weit weg von Lärm sein und mich erholen möchte. Doch schon diese Entscheidung basiert auf subjektivem Empfinden und individuellen Vorlieben – heisst, dass andere Leute praktisch am gleichen Ort sind, jedoch eine andere Erfahrung erleben möchten. Den Anspruch, die Berner Soundscape allgemein repräsentativ darzustelllen, erhebe ich auch nicht. Es sind spezifisch ausgewählte Orte, welche ihre Bekanntheit geniessen und für ihre Funktion bekannt oder beliebt sind.

Für die Aufnahmen verwende ich ein ZOOM H2n Stereomikrofon mit Surroundfunktion. Auch wenn das Mikrophon über eine Auto-Gain-Funktion verfügt, verändere ich die Sensibilität manuell, damit ich sicher sein kann, dass beim späteren Abhören der Audiodateien alle Aufnahmen „ähnlich“ „laut“ sind, damit verschiedene Soundquellen auch bei leiseren Umgebungen wahrgenommen werden können. Es sollte angemerkt werden, dass die Aufnahmen nicht professionell sind und ich im Audioengineering nicht genug bewandert bin, um qualitativ hochstehende Aufnahmen zu generieren. Die Aufnahmen sind die Basis der Arbeit, welche einen Einblick in die Soundatmosphäre von Bern und damit den Einstieg in eine anthropologische Diskussion im Bereich des Anthropozäns ermöglichen.

Aufnahmebereites Setup mit Mikrofon, Stativ, USB-Kabel und Laptop beim Rosengarten in Bern

Die digitale Audio Workstation, kurz DAW, namens „Audacity“ erwarb ich kostenlos und verfügt über alle nötigen Funktionen, die ich brauche. Da ich das Mikrophon via USB-Kabel an den Laptop anschliessen kann, erlaubt mir dies, zeitgleich zur Aufnahme die Resultate digital abzuhören – was mir die Möglichkeit gibt die Sensivität anzupassen. Dazu bin ich mit dieser Ausrüstung sehr mobil und bin innert Sekunden aufnahmebereit.

Beim Abhören und Analysieren der Aufnahmen im Nachhinein verwende ich einerseits In-Ear-Kopfhörer als auch Stereo-Studiomonitoren, da die verschiedenen Geräte nicht dieselben Frequenzen im selben Masse wiedergeben. Bei einigen Aufnahmen ist es schwierig, mehrere Sounds gleichzeitig zu hören, welche ich aber beim Aufnehmen klar wahrgenommen habe. Darum verstärke ich mit der Funktion „Effekte-Bass und Höhe“ low-frequencies oder high-frequencies. So kann ich bei Aufnahmen, bei denen tiefe Frequenzen dominieren, die Höhen verstärken und Blätterrascheln oder Vogelgezwitscher hören. Damit wird der Unterschied vom menschlichem Hörerlebnis und dem statischen digitalen Aufnehmen und Wiedergeben von Sound sichtbar.

Nach dem Analysieren der Klangmaterialien gilt es, Muster herauszufinden und Gemeinsamkeiten verschiedener Soundscapes aufzuzeigen. Dabei werden Ursachen und Wirkungen auffallender Klangerzeugern hinterfragt und in einen anthropozentrischen Kontext gestellt. Dafür werden in Excel die Diagramme übereinandergelegt als auch die „Mediane“ ermittelt. Die Auswertung soll Tendenzen zeigen und den Sammelbegriff „Lärm“ am Beispiel von Bern anhand verschiedener Faktoren und verschiedener Blickwinkel greifbarer machen. Dabei soll mithilfe weiterführender Studien und Beiträge diskutiert werden, inwiefern komplexe und laute Soundscapes, bevor Institutionen eine offensichtliche Schädlichkeit feststellen und Lärmschutzprogramme in die Tat umsetzen, Auswirkungen auf Mensch und Natur haben kann.

Sound on!

  1. Trambahnhof Kante C
  2. Zytglogge – Chindlifresserbrunnen
  3. Rosengarten – Park
  4. Bärengraben
  5. Aare – Schwellenmätteli
  6. Wald bei Länggasse
  7. Grosse Schanze

1. Trambahnhof Kante C

Aufnahme 1: Trambahnhof Kante C

Wahrnehmungsdokumentation

Es ist 11:20 Uhr an einem sonnigen Dienstag im Dezember. Noch nie zuvor begab ich mich zum Berner Trambahnhof ohne im Gespräch oder im Bann der Musik, welche aus meinen Noise-Cancelling-Inears schallt, zu sein. Ich fühle mich auf eine Art nackt und verwundbarer als sonst. Ich bereite mein Setup vor. Beim Panoramabildschiessen fällt mir bereits die Diversität an Sounds auf, welche insbesondere räumlich wahrzunehmen ist. Das erste und wohl auffallendste Klangelement ist Akkordeonmusik. Sie funktioniert wie eine „Ablenkung“ und lässt die sonst so laute und stressige Umgebung weniger herabziehend wirken. In den Momenten, in welchen ein Tram zwischen mir und der Musik steht oder fährt verändert sich die Soundkulisse. Das Tram wirkt als Isolation, wodurch das Akkordeon fast gänzlich verstummt, wie auch bei der lauten Abfahrt des Trams. Ein konstanter Klangteppich ist der öffentliche Verkehr, bestehend aus Autos, Lastwagen, Motorrädern, aber auch Trams und Bussen. Es ist relativ schwierig die genauen Ursprünge der Verkehrsounds ausfindig zu machen, ohne dass man sie direkt sieht. Beim Hören der Aufnahme mit Studioboxen oder Kopfhörern fällt mir auf, dass der Grundcharakter tiefe Frequenzen enthält, welche sich durch die ganze Aufnahme ziehen, doch habe ich hohe und grelle Sounds stärker wahrgenommen. Wenn eine Soundquelle erlischt, rücken sofort andere Elemente wieder ins Feld der Wahrnehmung, was die ganze Klangkulisse dynamisch wirken lässt, vor allem wenn man den räumlichen Aspekt miteinbezieht, welcher mit einer Surround- und Stereoaufnahme nicht wirklich wiedergegeben werden kann. Dass die Klangumgebung trotz ihrer verschiedenen Klangteppiche, die vorherrschen, dynamisch ist, fällt mir weiter auf, als ich mich nach der Aufnahme um 10 Meter verschoben habe, wodurch ein anderes Musizierendenduo ins Zentrum rutschte, welches zuvor von der Kirche verdeckt wurde. Daran sieht man, dass sich ganz nahe gelegene Klangkulissen stark unterscheiden können, eben durch Objekte die die Akustik verändern oder andere Sounderzeuger, die ihr unmittelbares Umfeld auditiv prägen. Ein weiterer Punkt ist, dass die Sounderzeuger an verschiedenen Orten auf andere Weise wahrgenommen werden. Ich gehe bewusst zur Akkordeonmusik, weil mich die Klänge aufheitern und ich mich als Musikwissenschaftler für das Phänomen der Strassenmusik interessiere. Erst einige Meter vor der „Bühne“ bemerke ich, dass das Akkordeon von einer akustischen Gitarre begleitet wird, welche nun, als ich so nahe stehe, vom Pegel her mit dem Akkordeon gleichauf ist. Dies bringt mich zum Schlus, dass der Klangcharakter mit darüber bestimmt, wie und ob der Klang an entfernten Orten wahrgenommen wird. Dabei spielt nicht nur die Dezibelzahl, oder die Frequenz der Klänge eine Rolle (da Akkordeon und Gitarre beide einen grossen und ähnlichen Tonumfang haben). Das einzige „naturnahe“, was ich gehört habe, war ein kurzes Hundebellen, wobei dieser Hund vom Menschen herangezüchtet wurde, in menschlichgeprägter Umgebung gehalten und allen Reizen ausgesetzt wird. Auch in anderen Beispielen sehen wir, dass „natürlich“ wirkende Sounds eine Ursache des Menschen sein können. Die Debatte darüber, was „natürlich“ oder „kulturell“ ist, möchte ich dabei nicht wirklich aufgreifen, doch verweise ich in den Beispielen gerne darauf, inwiefern die Ursache von Sounds nicht mit dem Empfundenen, oder „Offensichtlichem“ übereinstimmen muss.

2. Zytglogge – Chindlifresserbrunnen

Aufnahme 2: Zytglogge – Kinderfresserbrunnen

Wahrnehmungsdokumentation

Wenige Minuten später gelang ich mit einem Tram zur Station „Zytglogge“, direkt neben dem berüchtigten „Chindlifresserbrunne“. Wir befinden uns noch immer in der Innenstadt, wo gerade eine Anlieferung von Lebensmitteln im Gange ist. Die Anlieferung lässt sich durch viele kurze aber laute, abrupte „attacks“ gut beschreiben. Die Klanglandschaft klingt noch diverser als diejenige beim Bahnhof, wahrscheinlich weil durch den leiseren Grundpegel mehr Elemente hörbar sind, wie zum Beispiel Velospeichen, Gespräche oder Fusstritte. Der Grundcharakter ist auch hier vom Verkehr geprägt – die tiefen Frequenzen werden aber von einem Flugzeug ergänzt und wirken auf der Aufnahme mächtiger als im echten Leben. Den Brunnen nebenan höre ich leicht, was auch einen sanften, für mich beruhigenden Klangteppich schafft, doch ist das fliessende Wasser auf der Aufnahme nicht existent. Auch wenn die Klangumgebung viel leiser als beim Trambahnhof ist, ist der Stresswert für mich höher, da viele verschiedene Elemente klar hörbar sind, was beim Bahnhof eher ein „Chrüsimüsi“ und nicht wirklich differenzierbar war. Der Sound vom Flugzeug bringt einen neuen räumlichen Aspekt hinein: Beim Bahnhof hörte ich horizontal in alle Richtungen, da auf Augenhöhe der Lärm beträchtlich war. Doch bei der Zytglogge ist der Pegel leiser, wodurch das Flugzeug von oben gut hörbar ist, was auf der Aufnahme auch bloss ein Sound von vielen ist.

3. Rosengarten – Park

Aufnahme 3: Rosengarten – Park

Wahrnehmungsdokumentation

Es ist 11:50 Uhr und nur wenige Grade über null. Normalerweise findet man mehr Leute im Rosengarten im Sommer. Eine Krähe begleitet mich durch den ganzen Aufnahmeprozess und stösst sogar mit ihrem Schnabel gegen den Stuhl auf dem das Mikrofon steht (0:58 min). Der Verkehr dominiert auch hier, aber der Pegel ist weitaus leiser und weniger grell als in vorherigen Aufnahmen, da die Strasse von den Mauern ein bisschen abgeblockt wird und geschätzte 20-30 Meter entfernt ist. Fauna und Flora kommen zur Geltung: Vogelzwitschern und Blätterrauschen, Schritte oder das Picken der Krähe kann man mitverfolgen. Spazierende Leute kann man an ihrem Gespräch hören, doch ist der Verkehr mindestens gleichauf. Ich bin verwundert, dass selbst hier an einem Erholungsort der Verkehr von beiden Seiten relativ laut ist und zumindest von mir nicht ausgeblendet werden kann. Da der Rosengarten von mehreren Strassen auf allen Seiten umgeben ist, ist die räumliche Erfahrung der Soundscape, wenn man sich bewegt interessant: Man fühlt sich eingegrenzt vom Verkehr – es scheint wie eine audiovisuelle Grenze. Nach der Aufnahme fährt die Ambulanz mit Blaulicht und Warnsignal vorbei, was die Soundscape total auf den Kopf stellt. Nicht zu vergessen sind die Kirchenglocken, die pünktlich um 12 Uhr erklingen. In diesen beiden dominanten, über weite Distanz gut hörbaren Sounds wird mir klar, dass praktisch alle (urbanen) Orte von abrupten, lauten Sounds betroffen sein können, was Einzelaufnahmen nicht repräsentativ erscheinen lässt, da ein Ort extrem diverse Sounds trägt.

4. Bärengraben

Aufnahme 4: Bärengraben

Wahrnehmungsdokumentation

Der Bärengraben oder Bärenpark ist bekannt für seine Bären, doch die sind „leider“ tief im Winterschlaf. „Leider“ sage ich, weil die Klangumgebung gewöhnlicherweise aktiver, stärker besucht wäre. Trotzdem gibt es einige Leute, wie kleinere Gruppen von Jugendlichen und auch Familien, die spazieren, welche sich mit ihren Gesprächen lautstark äussern. Im Hintergrund hört man den Verkehr gut – doch gibt es hier mehr Autos als Busse oder Trams. Meine Vermutung ist, dass der Klangteppich deswegen nicht so tief wirkt wie bei den vorherigen Beispielen. Ein Kinderwagen wird über den holprigen Boden gestossen und ist somit der lauteste Sound dieser Aufnahme. Ich höre, im Gegensatz zur Aufnahme, die Aare leicht. Stände ich am unteren Ende des Bärenparks, sähe die Klanglandschaft anders aus. Die vorhin erwähnten Grenzen oder Schranken von Sounds kann man hier von der Perspektive der Bären übertragen: Ein Dauerrauschen von Verkehr und Aare dringen in den Lebensraum ein und schaulustige Menschen, oftmals auch laute Kinder, zeigen die Schranken zwischen Gehege und „freier Welt“.

5. Aare – Schwellenmätteli

Aufnahme 5: Aare – Schwellenmätteli

Wahrnehmungsdokumentation

Diese Klanglandschaft ist die monotonste, die ich gefunden habe. Man hört das Wasser rauschen, einerseits ein sanftes „Plätschern“ der Fischtreppe, andererseits ein mächtiges Rauschen von der Aareschwelle (zuständig für die Wasserzufuhr zu den Mühlekanäle im Mattenquartier). Inwiefern die hydraulische Klappenwehr den Grundpegel des Umgebungsklangs beeinflusst, konnte ich nicht herausfinden. Ich befinde mich direkt unter einer Brücke und höre den Verkehr nicht. Das Rauschen ist so laut, dass ich Gäste, die aus dem Restaurant „Terasse“ treten und Gespräche führen, nicht höre. Das Restaurant lädt auf der Homepage ein „sich eine kleine Auszeit vom Alltag zu gönnen und sich von der Natur inspirieren zu lassen“, was mich fragen lässt, inwiefern der Naturbegriff auch hier fluide ist. Denn Die Aareschwelle und somit auch das starke Rauschen ist menschengemacht und als Eingriff in die Natur zu verstehen. Damit möchte ich das geschichtsträchtige Bauwerk nicht kritisieren, aber möchte zeigen, dass über längere Zeit solch mächtige Bauten als nicht mehr auffallend wirken und weil sie in der Natur integriert sind, unbewusst als natürlich verstanden werden. Eigentlich hätte ich gern eine Unterwasseraufnahme gemacht, um die Perspektive der wasserbewohnenden Lebewesen – wie den Fischen zum Beispiel – einzubringen, doch fehlt mir dazu geeignetes Equipment.

6. Wald bei Länggasse

Aufnahme 6: Wald bei Länggasse

Wahrnehmungsdokumentation

Ich befinde mich im Wald, ca. 100 Meter von der Autobahn entfernt. Vorbeifahrende Autos und der Strassenbelag dominieren die Soundscape. Von der Flora und Fauna ist wenig zu hören. Einzelne Vogelgezwitscher versüssen die Aufnahme – angemerkt: das Vogelgezwitscher wirkt auf der Aufnahme wesentlich lauter. Der eigentlich erholsame und ruhige Ort „Wald“ ist in diesem Beispiel bloss Fiktion. Vermutlich ist der Lebensraum der Tiere hier lauter als die lärmdurchlässigste Wohnung in Bern. Man sollte hier nicht ausser Acht lassen, dass es Winter ist und die Bäume ohne Blätter eine kaum so isolierende Rolle einnehmen können wie im Sommer, wodurch einem einmal mehr klar wird, dass die Jahreszeiten Räume visuell aber auch auditiv prägen. Wird einem dies bewusst, erkennt man auch, dass die Försterarbeit ein ähnliches Nebenprodukt produziert. Die Soundscape ist einseitiger als ich dachte. Ein nahegelegener Spielplatz ist aufgrund tiefer Temperatur unbenutzt und stumm.

7. Grosse Schanze

Aufnahme 8: Grosse Schanze

Wahrnehmungsdokumentation

Ich stehe auf der grossen Schanze vor dem Hauptgebäude der Universität Bern. Es sind gerade Informationstage und die Gespräche der Menschen sind eines zweier Klangteppiche. Der andere ist der Bahnverkehr, vermischt mit anderen nicht-identifizierbaren Einflüssen, wahrscheinlich auch Verkehrsgeräusche. Dass der Bahnverkehr in diesem Masse zu hören ist, hätte ich nicht gedacht, da ich mich mehr als 30 Meter darüber befinde. Krähen krähen, Menschen sprechen und in der Ferne, aber immer noch näher als die Gleise, spielen zwei Leute Gitarre auf einer Sitzbank – was jedoch kaum hörbar ist. Da wo ich stehe, empfinde ich mehr Ruhe als an anderen Orten, wahrscheinlich weil die meisten Soundquellen nicht unmittelbar neben mir sind und sie deswegen nicht aufdringlich wirken, ausser vielleicht das hohe Zischen der Gleise.

Wie lärmt Bern denn wirklich?

Erfahrungsbericht

Ich höre im Alltag fast immer Musik, um meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Dazu hilft mir das Abkoppeln von der Aussenwelt einen klaren, kühlen Kopf zu bewahren, sodass meine Konzentration sich entfalten kann, was mir ansonsten schwer fällt. Mir war von Anfang an klar, dass wenn ich ein Projekt über Soundscapes und Lärm starte, ich mich diesem Thema auch physisch und emotional aussetzen würde. Ich habe mich dabei auf meine Empfindungen fokussiert, wodurch das Projekt eine persönliche Subjektivität als Grundtempus erhalten hat. Lärm erfährt und fühlt man, Sound beeinflusst uns und umgibt uns 24/7, wodurch eine objektive deskriptive Herangehensweise für mich nicht direkt in Frage kam. Ein häufiges Problem des Umgangs mit Lärmschutz ist, dass bloss Dezibelmessungen vorgewiesen werden und diese als repräsentativ für die Lärmbelastung gelten. Ich möchte meine Erfahrungen transparent in die Arbeit integrieren, um eben die Mehrschichtigkeit von Wahrnehmung, Empfindung und Belastung im Kontext von Soundscapes aufzuzeigen, damit die Problembehandlung und der allgemeine Umgang mit Lärm oder lauten Umgebungen andere Aspekte in die Bewertung der Notwendigkeit und Belastung miteinbezieht.

Wie bereits erwähnt, habe ich mich „nackt“ und verwundbar gefühlt, weil ich mich sonst immer von der Aussenwelt, um Überfluss an Einflüssen zu verhindern, abgeschirmt habe. Doch empfand ich danach das Klangerlebnis als positiv. Nicht im Sinne, dass ich die Klanglandschaften ästethisch fand, sondern, dass die Kleinstadt so viele verschiedene Soundelemente beinhaltet und sich das Hörerlebnis und der allgemeine Charakter einer Soundscape von Sekunde zu Sekunde verändern kann. Ich war regelrecht auf Spurensuche und wollte möglichst viele Sounds ausfindig machen und identifizieren, was wahrscheinlich nur wenige Leute bewusst machen. Nach dem rund 4-stündigen Spaziergang wurde mir auch bewusst, wieso sich nicht viele so verhalten: Ich war k.o. und musste mich danach erst einmal schlafen legen. Ich saugte meine Klangumgebung auf, was in einzelnen Fällen auch emotionales Ausmass annahm. Wir Menschen haben einen Filter, der visuell oder auditiv „Unrelevantes“ ausblendet, damit man von äusserlichen Einflüssen nicht überrumpelt wird. Diesen habe ich bewusst ausschalten wollen und habe selbst erfahren wie viele Einflüsse eine scheinbar leise Stadt bietet, kurz: zu viele um diese alle verarbeiten zu können. Trotz der mentalen Erschöpfung, empfehle ich allen Interessierten diesen Klangparcours, oder einzelne Stationen davon klanglich selbst zu erfahren und statt Musik zu hören oder ununterbrochen zu sprechen, einmal hinzuhören. So wird einem bewusst, wie die Welt um einem herum klingt und man kann darüber reflektieren, ob wir die Charakter der Soundscapes für Lebewesen aller Art vertretbar finden, oder ob ein Umdenken und Handeln stattfinden sollte.

Auswertung und Interpretation

Am Anfang sollte gesagt werden, dass die Auswertung und dessen Interpretation zu den Diagrammen auf meinen Empfindungen basieren und daher nicht für alle repräsentativ sind. Dazu kommt, dass jeder Ort zu verschiedenen Zeitpunkten (Jahreszeit, Tag, Uhrzeit, Situation) ganz anders klingt und das Spektrumdiagramm als auch das Netzdiagramm bloss eine kurze Momentaufnahme darstellen, mit den Zielen, Tendenzen aufzuzeigen und mit dem Thema Sound und Lärm auf andere Weise (als zum Beispiel mit Dezibelmessungen) zu arbeiten, damit andere Aspekte die den Massnahmen, Gesetzen und Diskussionen zugrunde liegen sichtbar werden.

Netzdiagramme

Die Netzdiagramme zeigen für jeden Ort, was für Soundelemente wie stark die Umgebung prägen. So kann kann man kategorisch Sounderzeuger identifizieren und das Chaos vom „Lärm“ ordnen. Andererseits wird es dadurch möglich, den Soundcharakter und die genannten „Tendenzen“ visuell, vereinfacht darzustellen. Im Nachhinein würde ich die Kategorien anders nennen. Ich ermittelte für jede Kategorie den Durchschnitt, doch sind diese nicht wirklich ausschlaggebend, da ich die verschiedenen Soundscapes nicht verallgemeinern möchte. Trotz alledem sehen wir, dass die Kategorie „Verkehr“ die meisten Soundscapes immens prägt (Durchschnittswert von 1.86), wobei 3 der maximale Wert (dominant) und 1 der Wert (leicht hörbar) darstellt. Die Kategorien „Maschinen“ und „andere Objekte“ waren schwer auseinanderzuhalten und manchmal konnte ich die Sounds auch nur schwer identifizieren, sodass sie unter „andere Objekte“ obhut fanden. Sounds letzterer Kategorie waren oftmals von kurzer Dauer und hoher Intensität, was auch von der Kategorie „Warnsymbole“ gesagt werden kann. Menschliche Stimmen sind an einigen Orten dominant und an anderen eher im Hintergrund. Die Flora und Fauna ergaben denselben Wert (Durschnittswert von 0.71) – also insgesamt nur knapp hörbar. Dabei ist zu sagen, dass ausser an der Aare – wo die menschenerzeugte Aareschwelle die Soundkulisse ausmacht – Flora und Fauna nicht dominieren und meistens nur Nebenelemente darstellen, wie Vogelzwitschern, Hundebellen und Blätterrauschen. Ich möchte die einzelnen Netzdiagramme nicht verschriftlichen und lasse den Leser*innen gerne offen, ihre Schlüsse zu ziehen und auch die Netze zu hinterfragen oder neu zu ziehen! Der oftgenannte „Klangteppich“ ist bei fast allen Orten der Verkehr, also menschgemacht. Dazu ist sichtbar, dass Sounds von Menschen tief in den Wäldern hörbar und auf eine gewisse Weise auch invasiv sind.

Spektrumdiagramme

Anders als die Netzdiagramme, die Klangerzeuger ausfindig machten, fokussieren sich die Spektrumdiagramme darauf, die Sounds isoliert in Worten zu beschreiben. Dabei verwendete ich Oppositionspaare wie: tief-hoch, leise-laut, weich-hart, konstant-attacks, naturell-kulturell, ästethisch-Lärm. Da ich kein Soundengineer bin, versuche ich hier meine subjektiven Erfahrungen objektiv zu beschreiben. Die einzelnen Spektrumdiagramme sollen von den Leser*innen hinterfragt werden. Wie bei der Idee der Netzdiagramme sollen die Spektrumdiagramme nicht repräsentativ für die Soundscapes sein, sondern neue Anhaltspunkte bieten mit Sound umzugehen. Wissenschaftlich ist das zwar nicht, aber glaube ich, dass der Begriff „Spektrum“ ein wichtiger Punkt ist, da Lärm meist erst nach einem Grenzwert als bedrohlich wahrgenommen wird. Die Oppositionspaare wie „leise-laut“ oder „ästethisch-laut“ sind offensichtlich der Subjektivität gewidmet. Dies macht Eindruck, dass dies willkürliche Werte ergibt, doch sind das genau die Punkte, über welche die Menschen miteinander sprechen und sich darüber ärgern, bevor sie eine scheinbare Objektivität mit Dezibelmessungen herstellen, um die gefühlte Belastung zu rechtfertigen. Auch hier habe ich für jede Kategorie den Durchschnitt ermittelt. Die Soundscapes beinhalten hohe, mittlere und tiefe Frequenzen, wobei mir beim Anhören der Aufnahmen die tiefen stark aufgefallen sind – wie eine Studie zeigt, ist dies durch den omnipräsenten Verkehr, ob auf Strasse, Gleis oder Luft zu erklären (Slabbekoorn 2018: 44). Ich empfand die Umgebungen insgesamt als eher laut (Durchschnittswert von 6.43). Da ich auf dem Land aufgewachsen bin, denke ich, dass ich lautstärkenempfindlicher bin als Leute die in einer Stadt aufgewaschen sind. Von aus einer Grossstadt kommenden Leuten, hörte ich vermehrt, dass Bern so leise sei, was für mich nicht einfach nachvollziehbar war. Die Sounds sind eher „hart“ als „weich“. Menschenstimmen, Wind, Natur und Tiere sind eher weichere Sounderzeuger und Maschinen und Verkehr wirken eher hart und grell. Die Sounds waren während den Aufnahmen eher konstant als gefüllt von „attacks“ – doch sind knapp einminüte Aufnahmen dafür nicht wirklich eine gute Orientierung. Sie wurden als eher konstant empfunden, weil es oftmals Klangteppiche gab, die die Basis des Sounds ausmachten. „Attacks“, also plötzlich auftretende, laute Soundelemente, treten nicht nach Wunsch und nicht regelmässig auf, wodurch die Authentizität von den Aufnahmen nicht wirklich gewährleistet ist. So sind auch Empfindungen von Anwohner*innen nicht genug überzeugend, wenn sie sagen, dass Lärm sie belastet, obwohl Dezibelmessungen ergeben, dass keine „hohe“ Belastung vorliegt. Messungen und Aufnahmen zeigen nur einen kleinen Teil des Erfahrenen und blenden gleichzeitig viele Aspekte aus. Die Soundquellen sind mehrheitlich kulturell geprägt (7.14). Die Natur ist leiser… Ich empfand viele Soundscapes als weniger ästhetisch, da sie mir zu laut, zu chaotisch waren oder Frequenzen im Spiel waren, die ich als störend empfunden habe. Dazu muss auch gesagt werden, dass ich bei jedem Ort eine Erwartung hatte: Ich erwartete beim Rosengarten eher eine leisere Umgebung, da ich mich dort fürs Erholen hinbegebe. Als die Umgebung eher laut war, war dies enttäuschend als auch interessant, da ich die Umgebung als unästhetischer als eine andere lautere Soundscape empfand. So spielt die Erwartung und Funktion eines Orts eine wichtige Rolle, da sie die Wertung von Gehörtem verändert, was das Thema Lärm noch schwieriger greifbar macht, da man seinen Erwartungen und Wünschen ausgeliefert ist und eine gewünschte „Objektivität“ nicht annähernd möglich ist.

Diskussion

Mögliche Auswirkungen

Lärm drückt auf die menschliche Psyche und auf den Körper. Das BAFU listet folgende Auswirkungen auf den Menschen auf (BAFU 2022):

  • Gehörschädigung
  • Lärmbelästigung
  • Lärm-induzierte Schlafstörungen und Aufwachreaktionen
  • Bluthochdruck
  • Herz-Kreislauf-Krankheiten
  • Diabetes Typ 2
  • Störung der Konzentration
  • Beeinträchtigung des Leistungsvermögens
  • Erschwerte Kommunikation
  • Soziale Isolierung

Weiter wird geschrieben, dass das laut WHO durch Lärm gestörte subjektive Wohlbefinden auch als gesundheitliche Beeinträchtigung gilt, was ein wichtiger Punkt ist. Der Ansatz klingt gut, doch die Durchsetzung davon ist schwer, denn laut dem BAFU sind täglich rund 16 Prozent der Bevölkerung „schädlichem“ Lärm ausgesetzt, wobei der Begriff schädlich hier mit Vorsicht zu geniessen ist (BAFU 2009). Was ist denn laut dem BAFU schädlich?

Ob Lärm schädlich oder lästig ist, wird mit Hilfe der Immissionsgrenzwerte beurteilt, die – je nach Nutzung des Standorts – zwischen 55 und 70 Dezibel am Tag und zwischen 45 und 60 Dezibel in der Nacht liegen. Nach dem Stand der Wissenschaft stört Lärm unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich.

Bundesamt für Umwelt über schädlichen Lärm

Die Immissionsgrenzwerte legen fest, ab wann anhand statistischer Dezibelangaben die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich gestört ist. Dass das verallgemeinerte Wohlbefinden der Bevölkerung, wohlgemerkt mit über 8 Millionen verschiedenen subjektiven Lärmempfinden und individueller Belastbarkeit, mit statischer Dezibelangabe gewährleistet werden soll, ist nicht möglich. Die Störung des Wohlbefindens muss darüber hinaus „erheblich“ gestört sein, damit es als „Störung“ und als schädlich anerkannt wird. Des Weiteren sind die Werte und Auswirkungen des Lärms bloss menschenorientiert. Man weiss nicht, wie hörempfindlich spezifische Tiere sind: Dass Tiere hörempfindlicher oder bei Sounds stressanfälliger sind als Menschen, sieht man zum Beispiel am Verhalten bei Feuerwerken. Dass Tiere mindestens gleichermassen Auswirkungen von menschgemachtem Lärm spüren, ist mit einigen Studien gezeigt worden: Ein kurzes Beispiel wäre, dass Tiere anders hören als Menschen, einige leiden unter Ultraschall-, wie Fledermäuse, oder Infraschallbelastung, also Sound, den wir gar nicht wahrnehmen (laerm.ch). Weitere interessante Studien, die mir Eindruck hinterlassen haben und ich weiterempfehlen kann, sind folgende: „How and why environmental noise impacts animals: an integrative, mechanistic review“ (Kight und Swaddle: 2011), „Anthropogenic Noise as a Stressor in Animals: A Multidisciplinary Perspective“ (Wright et al.: 2007) . Insgesamt werden in Studien folgende Auswirkungen auf spezifische Lebewesen behandelt: Verhalten, Biopsychologie, Kommunikation, Ökosystem – Biodiversität, Reproduktion, Raumgebrauch und weitere (Sordello, et al. 2020: 14). Menschgeprägte Umgebungen haben einen grossen Einfluss auf das Leben der Tiere. Entweder flüchten oder verenden die Tiere an/vom Lärm, oder sie passen sich der Umgebung an, wie Vögel, welche lauter werden und die Melodiehöhe verändern müssen, um gehört zu werden. Das von McKinney formulierte Phänomen der urbanen Homogenisierung beschreibt, dass auch wenn sich die lokale Diversität nicht reduziert, die grossflächige Diversität darunter leiden wird (Slabbekoorn 2018: 46). Dass Berner Lärm in die Natur eindringt oder sich sogar vermischt, sieht man an der Aufnahme im Wald bei der Länggasse als auch an der Aare.

Wie reagieren wir?

Bisher reagiert der Mensch auf Lärm mit Massnahmen – oft im Nachhinein mit Sanierungen. Ergebnisse des nationalen Lärmmonitorings sonBase im Jahr 2015 zeigten, dass sich die externen Lärmkosten des Strassen-, Schienen- und Flugverkehrs über eine Milliarde CHF pro Jahr halten (BAFU 2018: 9). Bei Dr. Heini Sommers Referat zu verkehrsbedingten Lärmkosten in der Schweiz im Jahr 2002 wurde erklärt, inwiefern sich die Kosten zusammensetzen:

Zum ersten gibt es Reaktionen auf Lärm (körperliche, psychische, verhaltensändernde, gesellschaftliche), welche ihre Auswirkungsbereiche haben (menschliche Gesundheit, Wohnnutzung, Gewerbe/Industrie, Freizeit/Tourismus, Raumplanung, Infrastruktur/Verkehrsmittel), welche mit wieder spezifischen Kostenkomponenten verbunden sind (Behandlungskosten, Produktionsausfälle, Verminderung der Immobilienpreise, Kosten für Schallschutzmassnahmen, Nutzeneinbussen, Lärmfluchkosten, Umsatzausfälle oder Attraktivitätsverlust, Verluste durch Auszonung oder Nicht-Einzonung von Grundstüclen, Ausgaben für Lärmschutzmassnahmen wie Wände, Rollmaterial, Strassenbeläge, Motorenisolation und weitere).(Sommer 2002: 7)

Wir sehen, dass in verschiedensten Gebieten reagiert wird und dies mit finanziell grossem Aufwand verbunden ist, wodurch vermutlich die Massnahmen oftmals vor Kostenscheue herausgezögert werden. Auch in Bern sind viele Leute und vor allem auch Tiere Lärm ausgesetzt. Mit der Wahrnehmungsdokumentation, den Diagrammen und Aufnahmen und deren Auswertung/Interpretation kann man zeigen, dass die Parameter und Grenzen der Bestimmung über die Schädlichkeit von Lärm anhand Grenzwertemissionen und Dezibelmessungen zu oberflächlich sind. Verschiedene erwähnte Studien kommen zum Schluss, dass anthropozäner Lärm einerseits andere Arten von Frequenzzusammensetzungen beinhaltet, welche den Charakter und somit das subjektive Empfinden von Sound beeinflussen und das Tierreich in urbaner als auch ausserhalb deren Umgebung meistens negativ prägt. Dass strikte Grenzwerte für die Massnahmen gelten, zeigt, dass Soundscapes nicht als fluide, hoch dynamisch, divers und komplex verstanden werden. Dieser Fehlschluss führt zu mehr Akzeptanz gegenüber Lärm und mündet in mehr Lärm und mehr Kosten – sprich: die Massnahmen werden zu spät in die Wege geleitet.

Und jetzt?

In dieser Arbeit habe ich mehrmals gemerkt, dass das Thema Lärm verschiedene Fachgebiete anschneidet, welche alle miteinander verbunden sind. Lärmschutz ist ein interdisziplinärer Bereich, bei welchem Biolog*innen, Anthropolog*innen, Architekt*innen, Wirtschaftswissenschaftler*innen, Rechtswissenschaftler*innen, Menschenrechtsorganisationen, Tierschützer*innen als auch Betroffene Leute und Weitere zusammentreffen sollten. So kann gemeinsam ein Konzept entwickelt werden, welches in allem Interesse ist, damit keine oder eine möglichst kleine Lärmbelästigung entsteht. Dass diese Art von Prozess im Rahmen von Lärmschutz funktioniert zeigt ein Beispiel aus Süssen bei Stuttgart (Bayerischer Rundfunk 2014: 3:00min). Mit meinen Aufnahmen und den Erläuterungen möchte ich die Leute für das Thema Lärm und Soundscapes sensibilisieren. Bern ist im Vergleich zu anderen Städten „leise“, doch sehen wir anhand den spezifischen Beispielen, dass vor allem der Verkehr, als auch andere Klangursachen in die Natur und mehr in den Alltag eingreifen als uns lieb ist und die komplexen Soundscapes zu viel Input für den Menschen sind, um sie verarbeiten zu können. Zu viele Inputs können die Psyche schwächen und greifen den Körper an. Begriffe wie „Schädlichkeit“ als auch „Warnsignale“ oder „Lärm“ sollen auch aus der Perspektive von Tieren neu gedacht werden: Ab welchen Auswirkungen, wie zum Beispiel, dass Vögel durch Lärm in der Kommunikation beeinträchtigt sind und sich anders verhalten müssen, ist Lärm schädlich? Wie viele Tiere sollen aufgrund lauter menschlicher Umgebungen flüchten, oder verdrängt werden, bis gehandelt wird? Was sind für Tiere Warnsignale? Menschengespräche, rasende Autos direkt neben ihrem Habitat, Flugobjekte, Kirchenglockenschläge etc.? Diese Fragen sollen unsere Perspektive weg vom Menschen zu „More than Human“ richten, gegen den Anthropozentrismus. Auch wir können als Individuen aktiv gegen Lärm arbeiten, indem wir weniger konsumieren. Denn Lärm muss auch im Kontext des Kapitalismus und des CO2-Ausstosses verstanden werden. Bleiben wir beim Individuum brauchen wir auch im Bereich „Mental Health“ eine Sensibilisierung. Bei einer Belastung auditiver Art darf und soll man sich Hilfe holen und sich für das eigene Wohlbefinden einsetzen. Dazu soll das Konzept vom ungreifbaren Lärm neu gedacht werden. Bei Lärm nicht automatisch weghören und sich isolieren, denn der Lärm verschwindet nicht von alleine. Lernen wir individuell Lärm als interessantes Phänomen von vielen aufeinanderprallenden Soundelementen verschiedenster Herkünfte, die miteinander in Verbindung stehen zu verstehen, kann man dem Stress entgegenwirken. Nur weil Lärm subjektiv wahrgenommen wird und Forschungen dazu schwer greifbar oder als nicht ausreichend objektiv betrachtet werden, darf nicht weggehört werden. Dezibelmessungen und Angaben als Grenzwerte für Wohlbefinden reichen nicht aus, um uns und unsere Umwelt vor Lärm zu schützen, zumindest nicht nachhaltig. Es braucht interdisziplinäre Räume, in welchen gemeinsame Lösungen und Optionen erarbeitet werden – ein Raum, wo einander zugehört wird und nicht im Eigeninteresse gelärmt wird!

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